Russische Exklave Kaliningrad:         Gora Dozo 233m,                       Kaliningrad Highpoint 252m

Bestiegen am 23.08.2023 

zusammen mit Emanuel, Mariya, Svetlana und Wasilii


4° 22' 12'' N, 22° 44' 39'' E
54.370059, 22.744274 (Dec Deg)

Reise durch ein zerrissenes Land

 
Tourenberichte versuche ich normalerweise unpolitisch und neutral zu schreiben, das gelang mir dieses Mal nicht. Unzählige Male begann ich die Notizen zu ändern und umzuschreiben, um letztlich zu entscheiden, ich bin nur authentisch wenn ich so schreibe wie ich denke.
 
Letztlich ist alles hier Geschriebene eine Momentaufnahme und meine rein persönliche Betrachtung der Dinge, ohne Anspruch auf Richtigkeit. 
 
Es ist nicht meine erste Russlandreise, ich mag das Land und die Menschen, doch sind sie mir durch die aktuellen Ereignisse zum Teil fremd geworden. Es ist hier richtig und wichtig zu unterscheiden, zwischen Menschen und Politik. Weil diese Reise einen familiären Grund hatte und wir privat bei der Familie wohnten, ergab es sich, dass ich so intensiv wie noch nie am Leben der normalen Menschen vor Ort teilhaben konnte. Auch dies eine Erfahrung.
 
Die Eltern meiner Frau leben in Kaliningrad, ehemals Königsberg.
Die Region mit einer 700 jährigen deutschen Geschichte, ging am Ende des zweiten Weltkriegs an die Sowjetunion. Bis 1947 waren dann alle verbliebenen deutschen Einwohner vertrieben und es erfolgte eine gnadenlose Russifizierung der Region. Alle Orte bekamen neue Namen, die in aller Regel nichts mehr mit den ursprünglichen Namen gemein haben. Matrossowo, Pionerski, Sowetsk, Komsomolsk, Illjitschowo und so weiter, muten für einen Westeuropäer eher grotesk an, der russische Bürger ist daran gewöhnt und stört sich eher nicht. Ebensowenig stört man sich offensichtlich an den unzähligen Überbleibseln, aus der inzwischen vor über 33 Jahren beendeten sozialistischen Ära. So stehen halt die Lenin Statuen noch häufig in der Gegend rum. Die Erinnerungskultur an den zweiten Weltkrieg ist Staatskultur und wird zelebriert. Hier löst man sich in anderen Teilen Osteuropas deutlich schneller davon.
 
Alles Westliche wird aktuell von den Patrioten gern als schlecht, verweichlicht und unerstrebenswert verteufelt, man wird nicht müde das in Funk und Fernsehen zu verbreiten. Das hindert die gleichen Patrioten aber nicht, die Produkte des dekadenten Westen zu geniessen. Vom Range Rover über Mercedes und BMW, westlicher Kleidung, Musik, Lebensmittel, Elektronik und vieles mehr, wird alles gern genutzt. 
Es ist ein zerissenes Land, zwischen Abkehr von der Sowjetzeit, die bei vielen Menschen immer noch eine Sehnsucht auslöst, Zuwendung zum Nationalismus und einer ungewissen Zukunft. Zwischen neuer Identitätssuche und dem sich Fügen in die aktuellen Verhältnisse. 
Dem durchschnittlichen Russen hilft dabei der hier extrem ausgeprägte Pragmatismus. 
 
Diese Zerrissenheit, von der ich schreibe, geht quer durch das Land, quer durch Freundeskreise und Familien. 
Auf dem Flohmarkt in Kaliningrad spricht mich ein älterer Herr auf englisch an, erklärt das der Kreml und die Juden an allem schuld sind. Auch dies ein typisch russisches Phänomen, es muss immer einen imaginären Schuldigen geben, der möglichst auch nicht konkret benannt werden kann. Von mehreren Menschen werden wir angesprochen und uns erklärt, wie sehr man mit der aktuellen Situation unzufrieden ist. Einige wenige Menschen werden dabei sehr deutlich. Ein Mann erklärt wie sehr er Putin hasst. 
Aber es gibt auch die Hardliner, die ein „Z“ am Auto spazieren fahren und bei denen die tägliche Gehirnwäsche eben hervorragend funktioniert hat. Oft ist das auch ein Bildungsproblem. Mit dem Narrativ, alle Anderen sind böse und wollen in unser Land einmarschieren, kann man eben neue Kämpfer rekrutieren und die Masse ruhig halten. Das diese Behauptung keiner Tatsache entspricht, kann man auch mit logischen Argumenten nicht diskutieren. Diskussionen mit Patrioten gleiten sofort in heftige Reaktionen ab, in denen die „Totschlag Argumente“ aus den Medien wiederholt werden. Es wird hier in den Medien unermüdlich verbreitet, der Westen hat keine Demokratie mehr, es ist eine amerikanische Diktatur.
Bei Nachfrage, warum ich Facebook und Instagram in der „lupenreinen Demokratie“ nicht benutzen darf, heisst es lapidar, da wird nur feindliche Propaganda verbreitet. Das wiederum hält unsere westliche Demokratie, egal wieviele Fehler sie haben mag, scheinbar viel besser aus. Da Facebook und Instagram in Russland für das normale Volk nicht funktionieren, frage ich mich, warum sehe ich in Deutschland soviel prorussische Posts auf diesen Portalen? Da funktionieren offensichtlich die Trollfabriken.
 
Es gibt auch die anderen Menschen, die hinter vorgehaltener Hand oder recht offen eine andere Meinung zeigen. Beim Bäcker steht vor mir eine junge Frau, auf ihrer Jacke steht, mit Edding in englisch geschrieben: If you think this is bad, see what our goverment is doing. Es gibt sie die gebildeten Menschen, die sagen, wozu soll das „jetzige“ gut sein? Es gibt die einfachen Menschen, die in weniger feinen, dafür drastischen Worten, ihren Standpunkt klar machen. Man äussert sich aber überwiegend leise oder kryptisch. Die Angst sich unbeliebt zu machen ist latent vorhanden. Meinungsfreiheit ist nicht angesagt.
 
Ein Berg war es diesmal nicht, der den Grund zur Planung dieser Reise lieferte. Gleichwohl wollte ich die Chance nutzen, den höchsten Punkt der Region in meine Sammlung einzufügen.
 
Wir starten Daheim an der Schweizer Grenze, nach einer fast staufreien Fahrt, ohne nennenswerte Ereignisse, landen wir an der polnisch russischen Grenze. Daheim hatten uns einige Leute erzählt, das bei der Ausreise die Polen oder die Litauer, Probleme machen. Die Ausreisenden drangsalieren und die Autos durchsuchen. In unserem Fall ist das nicht so. Auf der polnische Seite sind wir innerhalb einer Stunde durch, die Grenzbeamten sind korrekt und eher freundlich bzw lustig. Das Auto wird kontrolliert, aber dies beschränkt sich auf einen Blick in den Kofferraum, in das Fahrzeuginnere und den Abgleich der Autopapiere mit Kennzeichen und Rahmennummer.
Ein Stück weiter sieht es anders aus. Schlagartig funktioniert das polnische Telefonnetz nicht mehr, aus dem Grenzbereich kann man keine Nachrichten senden und die sozialen Netzwerke sind außer Funktion. Auf Grund einer unglaublich umständlichen und schlecht organisierten Vorgehensweise benötigen wir 4 Stunden um über die Grenze zu kommen. Bürokratie, dass kann man hier. Dank dieser Verzögerung kommen wir gegen 3:30 Uhr am Morgen bei Mariyas Eltern an. Ein herzlicher Empfang und dann geht es ab ins Bett. Ich bin jetzt 24 Stunden am Stück wach und komplett alles durchgefahren. Eine Mütze voll Schlaf, ist genau das was ich jetzt dringend benötige.
 
Die nächsten Tage sind geprägt von Besuchen am Meer, Sehenswürdigkeiten und familiären Aktivitäten. Am Dienstag müssen wir zu einem Büro um unseren Aufenthalt bestätigen zu lassen. Wir haben ein gültiges Visum, bei der Einreise bekommt man einen weissen Zettel in den Pass gelegt, diesen darf man auf keinen Fall verlieren. Ist man in einem Hotel untergebracht, kümmert sich das Hotel um diese Angelegenheit. Ist man privat zu Besuch, muss man das selbst erledigen. Wir fahren zum zuständigen Amt und verbringen dort zwei Stunden Lebenszeit, wirklich niemand weiss warum und wofür.
 
Meinen Wunsch gern den höchsten Punkt des Oblast Kaliningrad zu besteigen, hatte ich den Eltern gegenüber erwähnt. Da dieser Punkt sich aber im Grenzgebiet zu Polen und Litauen befindet, ist es eigentlich nicht erlaubt diesen zu besuchen. Man benötigt einen Propusk (Passierschein) Nun ist es aber im russischen so, wenn etwas verboten ist, ist es verboten, da kann man nichts machen. Wenn man es aber ganz arg möchte, dann kann man das schon irgendwie versuchen ;-)
 
Also die ganze Familie in das Auto geladen und auf zum nächstliegenden Ort in der Nähe des höchsten Punktes. Unbehelligt fahren wir bis Pugatschowo, von hier auf schlechten Strassen aus deutschen Zeiten und später auf unbefestigten Wegen durch die Wälder. Irgendwann ist die Strecke so schlammig und zerfahren, dass wir aussteigen und das letzte Stück zu Fuss gehen. Manche mit Wasser gefüllten Löcher beherbergen sogar Frösche. Die Luft ist voller Mücken. Nach einiger Strecke Fussmarsch, wobei wir immer wieder vom Weg in den Wald ausweichen müssen, weil dieser komplett schlammig und zerfahren ist, kommen wir zum höchsten Punkt. Die in der Karte angegebenen 252m kann ich nicht bestätigen, aber mein Smartphone funktioniert offensichtlich im Grenzgebiet nicht wirklich genau. Ich denke knapp unter 250m wird der Punkt haben. 
Auf dem Rückweg nehmen wir den Gora Dozor 233m mit. In manchen Quellen als höchster Punkt des Oblast genannt. Mit 233m ist dieser Punkt aber etwas niedriger, als der namenlose Hügel in der Nähe. Nach einigen Gipfelfotos und Verweilen an diesem Ort, kehren wir zurück zum im Wald abgestellten Auto. Voller Schrecken stelle ich fest, dass Auto war noch offen. In der Mittelkonsole unser gesamtes getauschtes Geld und im Handschuhfach die Pässe, Fahrzeugpapiere und Führerschein. Na Prima, Glück gehabt, alles ist ja gut gelaufen. Wir wühlen uns mit dem XC90 aus dem Wald, das Auto ist komplett mit Schlamm verschmiert, die Räder und Radkästen strotzen vor Dreck.
Wieder zurück auf befestigten Strassen fahren wir zurück Richtung Kaliningrad.
Der in den Rädern klebende Dreck verursacht böse Unwuchten auf der Rückreise.
Ein anstrengender und aufregender Tag geht zu Ende. 
Gipfelerfolg, keinerlei Probleme mit den Behörden, weil wir ohne Genehmigung ins Grenzgebiet eingereist sind, also alles bestens.
Wir fahren mit den Eltern in den folgenden Tagen zur Kurischen Nehrung, dort haken wir noch den höchsten Punkt der kurischen Nehrung und gleichzeit mit 62m die höchste Düne Europas ab. Auch hier ein schöner Tag mit touristischen Beschäftigungen.
Die folgenden Tage verbringen wir mit Angeln, Shoppen, Bummeln und Kartenspielen.
 
Dann ist Emanuel mit den Grosseltern unterwegs und Mariya und ich sind zu zweit zurück an der kurischen Nehrung. Wir „besteigen“ die Müller’s Höhe, eine knapp 45m hohe Düne, geniessen den Ausblick. Wir schlendern durch die Touristenorte Cranz und Rauschen, essen und trinken, geniessen den Luxus Zeit zu haben. Selenogradsk, der ehemalige  Badeort Cranz, gefällt uns ganz gut, auch wenn die Sowjetzeit und die Bausünden der Ära danach, tiefe Spuren hinterlassen haben. Mit Swetlogorsk, ehemals der mondäne Badeort Rauschen, können wir nicht viel anfangen. Überall Baustellen, Bauruinen, schlechte Strassen, kitschiger Touri-Nepp. Die Strandpromenade ist ausser Betrieb, da gerade gebaut wird. Besonders fallen mir hier die vielen Plakate auf, auf denen für einen Beitritt zum Militär geworben wird. 
Spät kommen wir wieder zurück und fallen müde in die Betten.
 
Heute gehen wir wieder angeln, machen am Wasser Picknick und Opa brät Schaschlik.
Wir haben Spass am Wasser, fangen natürlich nichts und ich foppe Emanuel in dem ich Steine ins Wasser werfe und behaupte die Fische springen. Der Kleine hat soviel Spass.
 
Unser letzter Tag in Kaliningrad, morgen Abend starten wir wieder Richtung Heimat.
Mariya und ich haben Jahrestag. In einem teuren Restaurant haben wir einen Tisch reserviert. Am Tag sind wir zusammen mit Emanuel in der Stadt unterwegs, shoppen und essen. Das Wetter ist mies, es regnet.
Auf dem Weg zum Abendessen müssen wir durch einen kompletten Verkehrskollaps. Wir kommen eine halbe Stunde zu spät. Netter Empfang, freundlicher Service, tolles Essen. Alles hat einen saftigen Preis, aber wir geniessen es. Spazieren im Anschluss über die Kant Insel und fahren wieder zu Mariyas Eltern.
Hier dann noch ein eher unschönes Erlebnis mit einem offensichtlich Patri(di)oten. Er beschwert sich, dass wir mit einem deutschen Auto dort im Wohngebiet parken. Beleidigt uns und zieht wieder davon. Als die Oma davon erfährt, ist sie zwei Minuten später auf der Strasse und sucht den Übeltäter. Zu seinem Glück hat sie ihn nicht gefunden.
 
Letzter Tag, tanken, packen, die Rückreise vorbereiten. Opas Auto wird ca. 25km entfernt bei Freunden untergestellt, da soll es die nächsten drei Monate bleiben. In der Nacht fahren wir los in Richtung Grenze. Es herrscht etwas Betrieb am Grenzübergang, wir warten ca. 1 Stunde auf der russischen Seite. Die Ausreise ist schnell erledigt, dann die Überraschung auf der polnischen Seite. Von 9 möglichen Linien sind zwei geöffnet, man macht „Bummelschicht“.
Pro Stunde werden ca. 4 Autos abgefertigt. Nach über vier Stunden Wartezeit sind wir dran. Alles wird untersucht, angeschaut, die Papiere geprüft, so weit so gut.
Dann werden die Schwiegereltern an den Schalter gerufen und man teilt ihnen mit, sie dürfen nicht durch Polen reisen. Wir können es nicht glauben. Man erklärt uns, dass Polen keine russischen Staatsbürger mehr ins Land lässt, auch nicht im Transit. Die Beiden haben ein gültiges Schengen Visum. Polen bricht damit EU Recht und Schengen Vereinbarungen.
Wir dürfen nicht mehr zurück, das russische Visum ist ausgestempelt. Wir sind verzweifelt, der Kleine weint und versteht die Welt nicht mehr. Nach gefühlt ewigen Diskussionen werden wir gezwungen die Grenzanlage zu verlassen. Was für ein schäbiges Gefühl, die beiden alten Menschen mit ihren Koffern im Niemandsland zwischen den Grenzen stehen zu sehen. Im Rückspiegel werden sie kleiner, Emanuel kann sich nicht mehr beruhigen.
Die Schwiegereltern müssen zu Fuss zurück auf die russische Seite, wie sie dann Heim kommen ist absolut unklar. Es ist Willkür und Schikane. Auf Grund des Krieges kann ich viele Emotionen nachvollziehen, dieses Verhalten der Polen ist für uns nicht nachvollziehbar. Die Eltern haben ein gültiges Schengenvisum, wollen nicht in Polen bleiben. Wir haben viel Geld als Kaution in Deutschland hinterlegen müssen, Krankenversicherung bezahlt und garantiert für alle Kosten aufzukommen. 
 
Durch Sippenhaft wird die aktuelle Situation nicht beendet oder geändert. Im Gegenteil, es besteht ja die Möglichkeit, dass Menschen nach ihrer Rückkehr aus Europa andere Informationen mitbringen, als diejenigen News die aktuell in den russischen Medien gezeigt werden. Illegal Einreisende werden da wohl freundlicher behandelt, befremdlich.
 
Wir fahren Richtung deutsche Grenze und die Stimmung ist im Keller. Unsere Gedanken kreisen ständig darum, wie kommen unsere Leute wieder nachhause. 6 Stunden später, gegen 12:00 Uhr erhalten wir die ersehnte Nachricht. Die Eltern sind wieder zuhause angekommen. Ein freundlicher Reisender hat sie von der russischen Grenze aus mitgenommen und Heim gefahren. Sofort mache ich mich an die Recherche, wie bekommen wir unsere Leute per Flugzeug nach Deutschland. Wir buchen Flüge von
Kaliningrad nach Moskau, nach Antalya und von dort nach Basel. Oh man, hoffentlich klappt das. Nächste Woche wissen wir mehr.
 

 

Über mich

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Ruhelos, rastlos, getrieben.

Bergsüchtig...

Mit Mischa am Eiger

 

 

 

Vielen Dank an alle

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